Karin S.

„Sexueller Missbrauch macht sprachlos.
Gemeinsam gegen sexuellen Missbrauch e.V. nennt sich der Verein den ich in Neuburg gegründet habe, um Aufzuklären, aber auch Opfern eine Hilfestellung zu bieten. Welche Geschichte dahinter steckt, möchte ich euch heute erzählen.

Die Erfahrungen die ich machen musste, verschlägt vielen die Sprache. Mein Stiefvater hat mein Vertrauen jahrzehntelang missbraucht, doch nicht nur er, sondern auch dessen „bester Freund“ hat meine ohnehin schon stark beschädigte Seele ein weiteres Mal ausgenutzt. Die Übergriffe des zweiten Peinigers endeten erst vor ein paar Jahren.
Aber der Reihe nach: Als ich acht Jahre alt war, starb mein leiblicher Vater. Von einem Tag auf den anderen war ich alleine mit meiner Mutter, die von der Situation deutlich überfordert war. Ich war traurig, hilflos und einsam. Bald lernte ich so eine Art „Ersatzpapa“ kennen, im Hallenbad sprach mich der fremde Mann an und kümmerte sich liebevoll um mich, fast wie ein richtiger Vater. Über mich kam schließlich der Kontakt zu meiner Mutter. Ich weiß heute, dass dies eine Entwicklung war, die geplant war, dass Täter einen Blick haben für Kinder die „Liebe“ suchen. Schon ein halbes Jahr nach dem Tod meines Vaters, zog der neue Mann bei uns ein, meiner Mutter tat es gut, wieder einen Mann im Haus zu haben, der sich um alles kümmerte. Das er aber ganz anderes im Sinn hatte, merkte sie nicht, oder wollte es nicht merken. Doch schnell bekam ich seine pädophilen Neigungen zu spüren….
Es begann in der Badewanne, er erklärte mir, dass es jetzt besonders wichtig sei, immer schön sauber zu sein, da mich sonst das Jugendamt in ein Heim stecken würde. Er half mir dabei mich zu waschen und ich sollte das selbige auch bei ihm tun. Da ich tat was er verlangte, auch wenn ich das von meinem Vater nicht so kannte, war der Grundstein gelegt. Jede Nacht kam er in mein Zimmer um sich an mir zu vergehen. Er zeigte mir Horrorfilme, die mir Angst machten, so dass ich nachts oft zu meiner Mutter und ihm ins Bett gekrochen kam, er missbrauchte nicht und meine Mutter schlief seelenruhig daneben. Heute da ich selbst Mama bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nie etwas davon mitbekommen hat. So begann mein „Leidensweg“ bald wurde es zur täglichen Routine. Schule, Essen, Hausaufgaben und dann ihn befriedigen und meist reichte es ihm einmal am Tag nicht. Er war besessen von Sex. Ich kam in die Pubertät und irgendwann war mir sicherlich auch bewusst, dass das was er tut, nicht normal war, aber ich schämte mich und hatte Angst. Er machte mich klein, „Ich sei nicht Frau genug, mein Busen sei zu klein, ich sei nicht hübsch und sollte doch froh sein, ihn zu haben“. Er verlangte, dass ich Freundinnen mit nach Hause bringe und auch an diesen hat er sich vergangen. Warum keine von uns jemals etwas erzählt hat, weiß ich bis heute nicht. Mein Stiefvater hatte einen besten Freund, dieser war oft bei uns und ich fuhr auch oft allein mit ihm mit, wenn er mich irgendwo hinbringen sollte. Da er meinen Stiefvater schon seit klein auf kennt und auch von seiner Neigung wissen musste, da mein Stiefvater bereits ein paar Jahre zuvor wegen sexuellem Missbrauch von Kindern im Gefängnis saß, hoffte ich wohl bei ihm Gehör zu finden. Ich umschrieb das Ganze, doch er verdächtige andere Leute, wie zum Beispiel, den Lehrer, den Vater meiner Freundin ect., dann erzählt er mir wie hübsch ich sei und dass ich ein ganz wunderbares Mädchen wäre und ich war so glücklich und stolz, dass er das sagte, dass ich mich nicht gewehrt habe, als er mich küsste und seine Hand in meine Hose schob, ich lies es zu, dass er mich vergewaltigte. Ich war gerade 13 Jahre alt. Von diesem Tage an mußte ich zwei Männern zur Verfügung stehen. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera, während mein Stiefvater mir immer und immer wieder zu verstehen gab, dass ich nicht „gut“ genug sei, dass ich doch froh sein musste, dass er mich „nahm“, war ich für den anderen wunderschön, doch beide wollten nur ihren Spaß. Ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe beide zu ertragen, aber irgendwie habe ich mir eine Überlebensstrategie angeeignet und seltsamerweise hatte ich keine Gefühle, keine Schmerzen, ich würde sagen ich war nicht bei mir während die beiden sich immer und immer wieder an mir vergangen. Von meinem dreizehnten bis zu meinem neunzehnten Lebensjahr „gehörte“ ich zwei Männern. Heute bin ich mir sicher, dass beide voneinander wussten. Mit neunzehn zog ich schließlich von zu Hause aus und so wurde mir mein Stiefvater nur noch zum Verhängnis, wenn meine Mutter nicht zu Hause war, wenn ich etwas aus der Wohnung holen wollte. Meine Freundin, die auch über 5 Jahre von ihm missbraucht wurde zeigte ihn 1995 an, ich war gerade mit meinem ersten Kind schwanger. Mein Stiefvater wurde verurteilt, doch ich schwieg bei diesem Prozess, ich erzählte nur einen winzigen Bruchteil dessen, was wirklich geschah. Bis heute verstehe ich nicht, dass weder meine Mutter, noch die Menschen aus seinem Umfeld aussagen mussten. Nachdem mein Stiefvater nun hinter Gittern saß, wo er kurze Zeit drauf auch verstarb, ließ dessen bester Freund trotzdem nicht von mir ab. Er kontrollierte mich auf Schritt und Tritt und war auch in meiner neuen Familie ein gern gesehener Gast. Ich bekam noch weitere drei Kinder und mein Leben spielt in zwei Welten, die eine war meine Kinder und mein Mann und die andere war von ihm bestimmt. Er verlangte tägliche Anrufe, verfolgte mich in seinem Auto und zwang mich immer wieder zu Treffen mit ihm. Besonders schlimm wurde es als er schließlich in Rente ging, von da an war ich nicht mehr sicher. Ich fuhr Umwege nur um ihm nicht zu begegnen. Ich versuchte immer meine Kinder oder meine beste Freundin mit zum Einkaufen zu nehmen, nur um eine Ausrede für ein Treffen zu haben. Das ging manchmal über Wochen gut, doch irgendwann wurde er aggressiv, drohte mir und ich musste mich wieder ihm hingeben um wieder für einige Zeit Ruhe zu haben. So ging das noch über viele Jahre hinweg, bis zu meinem 38. Lebensjahr. Ein Doppelleben von dem niemand etwas erfahren durfte. Eines Tages, ich musste ihn ja jeden Morgen anrufen, war seine Frau am Telefon, ich war so erschrocken und ließ mir schnell eine Ausrede für meinen Anruf einfallen (heute denke ich sie wusste Bescheid auch von seinem Kontrollzwang etc.), sie erzählte mir, dass er einen schlimmen Schlaganfall hatte und im Koma liegt und man nicht wüsste ob er überhaupt überlebte. Es dauerte lange, sehr lange bis ich entspannter wurde, mit jedem Tag, an dem ich nichts von ihm hörte, wurde meine Hoffnung größer, ihn nicht mehr sehen zu müssen. Doch auch heute, fünf Jahre nach seinem Schlaganfall, packt mich an vielen Tagen noch die Angst, dass er mich wieder verfolgen könnte. Ich weiß, dass ich viele Eigenarten, viele Ängste, viele Zwänge nie werde ablegen können und dass ich auch nie vergessen werde, was mir die beiden über fast 30 Jahre lang angetan haben. Aber ich möchte Leben, ich möchte mit meiner Geschichte und mit meiner Arbeit anderen Frauen und Männern zeigen, dass es sich lohnt zu leben, dass man trotz Vergangenheit eine Chance hat glücklich zu sein. Auch ich habe schlechte Tage und werde diese auch immer wieder haben…aber ich möchte Leben und ich möchte Lachen und niemand wird mir je wieder etwas antun, weil ich heute Menschen in meinem Leben habe, die mir zugehört haben, die mich aufgebaut haben und denen ich vertrauen kann. Ich bin nicht mehr alleine, weil ich es geschafft habe zu reden.

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