Diana

Vertrauen?

Er war nicht mein Vater, aber ich habe ihn als solchen angenommen. Mein leiblicher Vater wollte und will nichts von mir wissen.
Und ich habe ihm vertraut. Ihm, der jetzt mein Vater war; mir ein Vater sein sollte.

Ich habe ihm vertraut als er sagte "komm wir ruhen uns aus, machen einen Mittagsschlaf und wenn Du willst, erzähle ich Dir vorher noch eine Geschichte, ein Märchen. Ich liebte Märchen von Prinzen und Prinzessinnen in wunderschönen Palästen.

Ich legte mich neben ihn, in seinen Arm und lauschte seiner Geschichte; bis er "das Thema" wechselte. Er wollte wissen, nur mal sehen, ob ich schon ein "großes Mädchen" bin. Ich war völlig verwirrt und auch ängstlich. Er konnte so aufbrausend, so aggressiv werden. Ich wusste nicht was da mit mir passiert und ob das was er da tut richtig ist. Es fühlte sich nicht richtig an. Aber ich war unfähig etwas zu sagen, war stumm, habe still gehalten. Ich wusste nicht ob von mir jetzt erwartet wurde und es "gut" ist, er sich freuen würde wenn ich schon ein großes Mädchen bin? War es richtig, war es falsch? Ich war völlig durcheinander.

Schon früh war ich zu einem angepassten Verhalten erzogen worden, hatte gelernt möglichst unauffällig zu sein, wenig zu fordern und nicht zur Last zu fallen, denn meine Mutter war durch die schwere Akkordarbeit in der Fabrik, mit sich selbst, ihrem Leben und ihm überfordert.
Als er anschließend sagte, dass wir "das" nicht der Mutti erzählen, nickte ich und schwieg.
Ich habe mich in meiner Kindheit oft schrecklich einsam, schutzlos und überfordert gefühlt.

Ich schwieg auch, als "der Freund der Familie" - selbst Vater von 3 Kindern - mich über lange Zeit hinweg sexuell belästigte.
Und ich schwieg, als ich schon eine junge erwachsene Frau war. Jedes Mal, wenn mich ein Mann sexuell überrumpelte - nicht selten waren es Männer zu denen es in Gewisserweise eine Art Abhängigkeitsverhältnis gab (Chef, Vermieter etc.) überkam mich die gleiche Ohnmacht und die Unfähigkeit mich abzugrenzen, mich zu wehren.

Als ich meiner Mutter dann vor etwa 2 Jahren - ausgelöst durch einen Streit - erzählte, was damals passiert war, sagte sie nur "da kann man jetzt auch nichts mehr machen. Warum hast Du denn damals nichts gesagt, dann hätte ich ihn sofort rausgeschmissen".

Nein, ich wusste dass sie ihn nicht wirklich rausgeschmissen hätte. Dazu war sie unfähig. Ich wollte nicht, dass sie ihn heiratet, dass er bei uns bleibt. Wollte nicht mehr - schon gar nicht mehr mit 16 Jahren - im elterlichen Schlafzimmer schlafen. Aber noch heute sagt sie "Ja Kind, was hätte ich denn tun sollen - ich habe ihn ja immer wieder rausgeschmissen, aber er kam jedes Mal wieder zurück, saß immer wieder auf der Treppe".

Ich klage meine Mutter nicht mehr an, versuche zu verzeihen. Ob es mir wirklich gelungen ist, weiß nicht...
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