26.05.2005

Den Ausführungen im Gästebuch, dass es um das Thema sexuelle Gewalt immer noch viel zu ruhig ist, kann ich nur zustimmen.

Es wäre sehr sehr notwendig, ein Gefühl für die Würde von allen Menschen, also auch Kindern und Schutzbefohlenen zu schaffen, das schient die dringenste Aufgabe von Verantwortlichen des öffentlichen Lebens (LehrerInnen, PsychologInnen, Angehörige aller Erzieher-Berufe, und auch aller politisch Tätigen) zu sein. Wenn nach dem Gesetz gerufen wird, ist schon zu viel Tragisches passiert.

Immerhin gibt es diese Ausstellung, um sexuelle Gewalt öffentlich zu machen, wie es auch schon andere Ausstellungen gab, immerhin gibt es gute Bücher, die im gewissen Umfang für Verantwortliche und Betroffene Hilfe darstellen.

Ich wünsche mir aber auch mehr - das hat damit zu tun, dass ich selber Betroffene bin. Es passierte als ich ca. 4 Jahre alt war. Es wurde dann auf energische Intervention meiner Mutter eingestellt. Aber die Angst vor dem Täter blieb. Er war ziemlich jähzornig, ein Gewaltmensch mit gutbürgerlichem Erschienungsbild - dazu gehörte auch eine perfekte religiöse Fassade. Es fällt mir sehr schwer es aufzuschreiben, dass es mein Vater war, der so Grauenhaftes angerichtet hat. Er hat mich zu oralem Sex gezwungen. Glück im großen Unglück war, dass ich trotz seines Verbots darüber zu reden, es meiner Mutter berichtete. Ich dachte, wenn ich es nicht sage, geht mein Leben zu Ende. Ich fühlte mich von Gott und der Welt verlassen.

Vor dem oralen Sex fanden andere sehr schmerzhafte Attacken statt, die mit Hochheben und auf dem Schoss niedersetzen getarnt waren. Mein Geschlecht hat mir sehr weh getan und ich fragte deshalb auch nach dem "harten Stock", auf dem ich überraschender Weise zu sitzen kam.

Die Erinnerungen sind so schrecklich, jetzt beim Aufschreiben klopft mir das Herz sehr schnell und es macht mich alles sehr traurig.

Die ganzen Schrecknisse "unter Kontrolle zu halten", sprich: zu verdrängen, hat mich - da bin ich sehr sicher - unwahrscheinlich viel Lebensenergie gekostet. Zeitweise habe ich meine Erinnerungen, bevor sie richtig ins Bewusstsein auftauchen, mit Alkohol betäubt. Ich habe mich wohl unbewusst sehr geschämt - unnötig, wie mir nach längerer Therapie klar wurde.

Vieles, was ich gern getan hätte, ist mir nur unzureichend und/oder sehr sehr mühsam gelungen, auf allen lebenswichtigen Gebieten: Liebe und Sex, Berufsarbeit, soziale Kontakte, Freundschaften, alles geschieht sehr mühevoll oder bleibt Wunsch.

Es ist ein Leben zwar auch mit Dankbarkeit, Glück und Liebe, aber leider auf der Grundlage von sehr viel Zweifeln. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel kämpfen und sorgen müssen, oft auf mich allein gestellt sein, mit vielen Selbstunsicherheiten.

ich sehe aber weiterhin einen Sinn, mein Leben nach bestem Können zu gestalten, für mich und andere. Vielleicht kann ich ja doch hin und wieder auch etwas verändern zum Guten, für mich und andere.

Jetzt bin ich 60 Jahre und ich habe erst voriges Jahr eine Therapeutin gefunden, mit der ich vertrauensvoll über alles, was ich an sexueller Gewalt erlebt hatte, reden konnte. In einer früheren Therapie konnte ich mich zu dem Thema nur andeutungsweise äußern, da die Therapeutin (Psychoanalytikerin) sich mir oft recht distanziert gezeigt hat. Irgendwann verlor ich den Mut, dieses so komplizierte Thema anzusprechen. Eine verzweifelte Situation. ich will keineswegs nachtragend sein, erwähne dieses Verhalten aber der Vollständigkeit halber. ich habe unter den Zurückweisungen gelitten, hielt diese aber für "therapeutisch legitim". Woher hätte ich es richtig wissen sollen? Wenn also viele aus einer Analyse herauskommen und sicht nicht oder kaum besser fühlen, ist es schon korrekt, Therapiefehler anzunehmen und/oder zu glauben. Mit Erfahrung von sexueller Gewalt zeigt ein Klient bzw. eine Klientin sich in einer bestimmten Art und Weise, also ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand damit angibt/renommiert.

Oder ist das die typisch weibliche Sicht?

Darf ich bei dieser Gelegenheit noch die Anregung geben, im Ausstellungstitel statt "sexueller Missbrauch" "sexuelle Gewalt" zu verwenden. ersteres wirkt so unentschlossen, so uneindeutig.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Mit allen guten Wünschen für Sie persönlich und Ihre Arbeit.

 

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